Texte

Künstlerisches Selbstverständnis

Wiederholung als Prinzip

Die Grundlage meiner konzeptionellen Arbeit ist die Wiederholung als Prinzip. Die blattfüllende Repetition eines einfachen Einzelelements zielt – ähnlich verschiedener meditativer Praktiken – darauf ab, den urteilenden Verstand zum Verstummen zu bringen, und einen Zustand innerer Stille, bloßen Seins, herbeizuführen.

Ausgangspunkt dieses prozesshaften Ansatzes ist eine Feststellung, die sich prominent unter anderem in philosophischen Strömungen wie dem Nihilismus, Existenzialismus und der Philosophie des Absurden findet: Der Boden unserer Überzeugungen, auf dem wir uns durchs Leben bewegen, ist letztendlich wackliger Grund. Persönliche Urteile, Sinnzuschreibungen aber auch unser geteiltes Wissen über die Welt haben keinen Objektivitätsanspruch. Sie hängen maßgeblich vom Zeit- und Standpunkt der Urteilsbildung ab. Was heute stimmt, kann morgen ganz anders sein oder auch „Sicher ist, dass nichts sicher ist“, wie Ringelnatz schrieb – eine Erkenntnis, die wohl beinahe jeder von uns von Zeit zu Zeit macht. Rückt diese Uneindeutigkeit in unser Bewusstsein, kann sie uns ins Wanken bringen. Entscheidungen werden ein Ding der Unmöglichkeit. Der Kopf lärmt.

Meine prozesshafte Arbeitsweise zielt darauf, ebendieses innere Spannungsfeld aufzulösen, indem sie den kritischen Verstand durch ritualartige Wiederholung zur Ruhe bringt, und so nach einem Zustand bloßen urteilsfreien Seins strebt. Das für meine Arbeiten charakteristische repetierte Einzelelement ist die Chiffre 8, die wiederholt wird, bis das Zeichenmittel leer geschrieben ist. 
Dabei birgt sie ein Doppelspiel von Bedeutungen: In der christlichen Zahlenmythologie steht die 8 einerseits für den Neuanfang. Dieser spiegelt sich in meinen Arbeiten durch die ständige Aktualisierung des Seinszustandes, der durch jede Wiederholung aufs Neue angestoßen wird. Andererseits steht die 8 für die Unendlichkeit, auf die das Prinzip der ständigen Wiederholung unweigerlich zuläuft. Auf diese Weise entstehen blattfüllende Arbeiten, die seismographische Aufzeichnungen eines permanenten Seinszustandes darstellen.

Dieser dokumentarische Charakter ergibt sich nicht zuletzt durch die Wahl der Arbeitsmittel. Für meine Arbeiten verwende ich vorwiegend Tusche, Pigmentstift, Lackstift oder Bleistift auf Papier, die für sich genommen eine gewisse Irreversibilität implizieren: Die Linie der Zeichnung ist weder wiederhol- noch korrigierbar. Zufällige Unregelmäßigkeiten werden zum substanziellen Bestandteil meiner Arbeiten. Fehler bestimmen die Blattdynamik.
Auch gezieltes Spielen mit den Parametern innerhalb des Konzepts, wie etwa die Veränderung des Formats, des Zeichenmittels, des Bildträgers, der Schreibdichte, -größe oder -richtung beeinflusst die Dynamik im Blatt. Diese formalen Entscheidungen sind häufig inspiriert durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen und literarischen Inhalten und Fragestellungen. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten wird die linear notierte Chiffre 8 manchmal durch eine Linie ohne Einzelzeichen abgelöst.
Es entsteht ein kalkuliertes Spiel mit dem Zufall, ein Raum zwischen Plan und Unplanbarem, der sich bei Wiederholung des immer gleichen Grundprinzips immer wieder neu ausgestaltet.

Insbesondere das Thema „Zeit“ als Grundlage aller Wahrnehmung und damit Urteilens ist dabei für mich von Interesse. Der seismographische Charakter der Arbeiten impliziert unweigerlich ein Sichtbarwerden von Zeit. Bildelemente wie Striche, Linien, Punkte oder Flächen können temporale Qualitäten aufweisen, indem sie auf den Vorgang ihrer Entstehung schließen lassen. Linien, die nichts darstellen wollen, außer ihres Werdens und Vergehens, destillieren diese Qualitäten umso mehr heraus und stimulieren so die Zeitwahrnehmung des Betrachters. Zudem wird diese angeregt, indem ein Verständnis der Arbeiten nur zeitlich erstreckt möglich ist. Aus der Ferne ist die Blattdynamik in ihren Grauwerten zu erkennen. Um jedoch die ihr zugrunde liegende Struktur entschlüsseln zu können, ist der Betrachter aufgrund der Chiffren- (oder Linien-)größe zur Nahsicht gezwungen. Tritt er näher, verliert er allerdings den Blick für das große Ganze. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang: Für den Betrachter wird das von mir aufgeworfene Grundproblem, die (standpunkt-)relative Wahrnehmung der Dinge, direkt mittels der Arbeiten erfahrbar. Die Verschiebung der Parameter stellt zuletzt die Zeit selbst als absolutes Phänomen infrage und verweist auf die Relativität unserer Zeitwahrnehmung, indem der Verlauf der seismographischen Aufzeichnung mal linear, mal verschränkt, mal gegenläufig, mal zyklisch, mal komprimiert oder mal ausgedehnt dokumentiert wird. Der prozesshafte Ansatz beinhaltet somit das Problem und zugleich die Lösung: Die Relativität all unseres Urteilens und die nicht-einordnende Geisteshaltung, die uns mit dieser Tatsache umgehen lässt.

Judith Bader

Leiterin der Städt. Galerie Traunstein, 2018

Die Ziffer Acht, – manchmal liegend, manchmal stehend, immer aber seriell in einem grafischen Netzwerk vervielfacht und miteinander verbunden,- findet sich in den Papierarbeiten des in Peterskirchen bei Tacherting lebenden Künstlers John Schmitz als ein zeichenhaftes, allgemein bekanntes Symbol für das Phänomen der Unendlichkeit.

Dabei wird sich das ursprünglich mathematische Zeichen nicht als isoliertes Einzelmotiv entdecken lassen, sondern John Schmitz gestaltet daraus ganze Bildgewebe, dessen blattfüllende Texturen aus der Ferne betrachtet einerseits Schriftbildern, andererseits seismografischen Aufzeichnungen ähneln. Die Gegenwart schreibt sich im Moment des Aufsetzens der Feder oder des Bleistifts direkt in den Bildträger ein: Die innere Verfasstheit des Linien ziehenden Künstlers prägt seine Handschrift in jedem Moment ebenso wie die an dieser Stelle einmalige Maserung des Papiers, die Beschaffenheit der Tusche, die Stärke des Farbauftrags sowie andere äußere Bedingungen wie Tageszeit, Temperatur und Lichtverhältnisse. Das Aufspannen von Horizontallinien erinnert an die Abstraktion von Musiknotierungen und Textzeilen, erst aus der Nähe betrachtet schält sich das Einzelmotiv heraus. Die Wahrnehmung der unterschiedlichen Betrachtungsweisen aus der Nähe und aus der Ferne ist bei den Arbeiten von John Schmitz insofern wichtig, als sie uns in der künstlerischen Transformation konkretisiert das komplexe Zusammen- und Wechselspiel zwischen Detail und Ganzheit, zwischen Prozess und Vollendung, zwischen Anfang und Ende anschaulich erfassen lässt. Angestrebt wird eine absolute Abstraktion, die in einer Erfahrung von Form-, Raum- und Zeitlosigkeit mündet und gerade dadurch auf Grundvoraussetzungen unserer Wirklichkeitswahrnehmung hinweist.

Inspirationsquelle beim Kunstschaffen ist für John Schmitz, der sich mit existenzphilosophischen, religionswissenschaftlichen und weltanschaulichen Erkenntnissen und Annahmen auch theoretisch beschäftigt, nicht allein der Intellekt, sondern mindestens ebenso bedeutend ist der Akt der Hingabe an und die Versenkung in den Malprozess. Dieser nimmt viel Zeit in Anspruch und erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Der Malprozess bei John Schmitz erinnert in seiner immer wiederkehrenden Ausgangslage und in seiner manuell repetitiven Gleichförmigkeit an ein Ritual. Die Ergebnisse, die fertigen Bildern, sind, trotz der Verwendung stereotyper Grundmuster und des ritualisierten Schaffensprozesses, von erstaunlicher Vielfalt. Bei sehr langem Schauen verwandeln sich die Tuschezeichnungen in auf- und abtauchende Nebenschwaden, landschaftliche Assoziationen stellen sich ein oder man fühlt geradezu im eigenen Körper pochend die Rhythmik der Aufzeichnungen von Herzfrequenzen oder denkt an nicht dechiffrierbare Schriftbilder, die gleich Mandalas ohne Mittelpunkt das ganze Universum umfassen. Eine vom Künstler nicht zu planende und vom Betrachter nicht vorhersehbare pulsierende Kraft und Bewegung erfasst die Statik der Bildkomposition, und lässt den Betrachter teilhaben an des Künstlers Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Dr. Ina Dreyer

2017

„In seinem künstlerischen Schaffen beschränkt sich John Schmitz auf nur wenige Malutensilien wie Bleistift, Feder, Tinte und Zeichenbogen. Mit einer unverwechselbar bildnerischen Sprache begann er ab 2011 eine fortlaufende und zeitlich unbegrenzte Serie, die bis heute eine Vielzahl von Blättern umfasst. Das wesentliche Thema seines konzeptuellen Werks basiert auf einem System, das sowohl Zeitlichkeit als auch die gegenwärtige Befindlichkeit des Künstlers dokumentiert und in Kunst transformiert.

In minutiöser Aneinanderreihung und ohne Unterlass beschreibt Schmitz den Zeichenbogen mit einer quer liegenden Acht. Ob diese als Zahl- oder als Unendlichkeitszeichen, der mannigfache Chiffren anhaften, zu verstehen oder als symbolträchtiges Zeichen zu interpretieren ist, bleibt dem Betrachter verschlossen. Das Bildgepräge bestehend aus einer Vielzahl horizontaler Linien, in Form von aufgereihten Kreisen, wirkt vordergründig fragil, ist tatsächlich feste Struktur und nur mit Feinsinn wahrzunehmen. Je nach Blickwinkel erinnern diese Bildgewebe an Schriftbilder, Texturen, expressive Landschaften oder an seismographische Aufzeichnungen. Das Dargestellte bleibt abstrakt. Es lässt sich weder räumlich noch zeitlich begreifen oder sich in bestimmte Formen fassen. Erst in der Nahsicht formen sich die zarten Tusch- oder Bleistiftkapillare jedes Einzelmotivs heraus. Allein die Stärke des Aufbringens der dunklen Tinte, die einhergeht mit dem Farbfluss, der Tintendichte, dem Druck der Feder auf das Zeichenpapier als auch die spezifische Befindlichkeit des Künstlers, verleiht der Darstellung eine kontemplative aber dennoch energetisch geladene Bildstruktur. Ihre Dynamik obliegt der Wahl des Malgeräts. So überrascht es nicht, dass trotz selbigen Malprozesses immer neue Bildstrukturen zutage treten.

Seinen schöpferischen Antrieb für seine Arbeit zieht Schmitz aus der Auseinandersetzung mit existenzialistischer Literatur wie Camus oder Beckett und auch aus der Konfrontation mit Konzeptkünstlern früherer Generationen wie Ad Reinhard oder Roman Opalka. Weitere Quellen der Inspiration sind die tief greifende Beschäftigung mit den Religionswissenschaften und der Philosophie.

John Schmitz meditative Werke entstehen in einem annähernd besinnlichen Vorgang. Bevor das Blatt in feinen Malzügen beschrieben wird, taucht er die Feder in Tusche, streicht sie dreimalig in einem beiliegenden Skizzenbuch ab, um überschüssige Tinte zu entfernen und sich selbst in eine bestimmte Atmosphäre zu versetzen. Diesen Prozess wiederholt er solange bis das Blatt gefüllt und damit das Tagwerk des Künstlers vollendet ist. Das Ritual der ständigen Wiederholung, die der Zeichen und Handlungen, die Konzentration darauf wie auch die Versenkung darin, diese auszuführen, steht im Vordergrund.

Neben der „Acht“ als künstlerisches Moment ist auch das Quadrat im Oeuvre des Künstlers bedeutungsvoll. Seit der Antike gilt es als die harmonischste aller Formen und ist für Schmitz die Edelste unter den geometrischen Figuren. So konzentriert er sich im Wesentlichen auf die drei Maße von 20 x 20 cm, 113 x 113 cm sowie 203 x 203 cm. Das zuletzt genannte Format konsolidiert sich aus den acht mal acht quadratischen, und in chronologisch gebrachte Reihung von 64 Einzelblättern, die in Beziehung zueinander stehen. Diese Serie wird seit dem 1. September 2015 fortlaufend produziert und ist bis zu seinem Lebensende konzipiert. Inhaltlich verweist das an ein Schachbrett erinnernde Großformat auf die von Stefan Zweig im brasilianischen Exil zwischen 1938 und 1941 entstandene Schachnovelle. Der Bezug zum Protagonisten Dr. B. liegt nah: Hier wie dort steht „Stille“ im Fokus. Sich durch Stille zu finden oder aber an ihr zu Grunde zu gehen, sind mögliche Variablen. Anstelle des Titels sind sämtliche Arbeiten lediglich rückseitig mit einem Datum versehen, das die Chronologie seines Schaffens dokumentiert. Variationen im Werk von John Schmitz sind Grafiken und Aquarelle. Für Letztere versetzt er als Farbpigment Gummiarabikum mit Asche, um Bildstrukturen zu erzeugen, denen ein ebenso kontemplativer Moment innewohnt“.

Judith Bader

Leiterin der Städt. Galerie Traunstein, 2016

„Die Acht als zeichenhaftes Symbol für das Phänomen der Unendlichkeit findet sich in den Papierarbeiten des in Peterskirchen bei Tacherting lebenden Künstlers John Schmitz. Dabei wird sich die Acht nicht als isoliertes Einzelmotiv entdecken lassen, sondern John Schmitz gestaltet daraus ganze Bildgewebe, die aus der Ferne betrachtet Schriftbildern und Texturen einerseits, andererseits seismografischen Aufzeichnungen ähneln.

Tatsächlich schreibt sich die Gegenwart im Moment des Aufsetzens der Feder oder des Bleistifts direkt in den Bildträger ein: die innere Verfasstheit des Linien ziehenden Künstlers prägt seine Handschrift in jedem Moment ebenso wie die an dieser Stelle einmalige Maserung des Papiers, die Beschaffenheit der Tusche, die Stärke des Farbauftrags oder die äußeren Bedingungen wie Tageszeit, Temperatur und Lichtverhältnisse. Das Aufspannen von Horizontallinien erinnert von Ferne an die Abstraktion von Musiknotierungen und Textzeilen, erst aus der Nähe betrachtet schält sich das Einzelmotiv heraus.

Und beide Betrachtungsweisen sind wichtig, denn sie lassen uns das komplexe Zusammen- und Wechselspiel zwischen Detail und Ganzheit, zwischen Prozess und Vollendung, zwischen Anfang und Ende erfassen. Angestrebt wird eine absolute Abstraktion, die in eine Erfahrung von Form-, Raum- und Zeitlosigkeit mündet und gerade dadurch auf die Voraussetzungen unserer Wirklichkeitswahrnehmung hinweist.

Die wichtigste Inspirationsquelle ist für John Schmitz nicht der Intellekt, sondern die Hingabe und die Versenkung. Der Malprozess nimmt viel Zeit in Anspruch und erinnert in seiner immer wiederkehrenden Ausgangsposition und in seiner manuell, repetitiven Gleichförmigkeit an ein Ritual.

Bei sehr langem Schauen verwandeln sich die Tuschezeichnungen in auf- und abtauchende Nebelschwaden, in Nebelwände, landschaftliche Assoziationen stellen sich ein oder man denkt an die Rhythmik der Aufzeichnungen von Herzfrequenzen und eine geheimnisvolle und auch vom Künstler nicht zu planende oder vorhersehbare pulsierende Bewegung erfasst die statische Funktionalität der Bildkomposition, und es ist, als würden die Bilder atmen, Stille atmen“.